Messtechnischer Nachweis der D-A-CH-CZ-Grenzwerte
Die Zunahme von verteilter Erzeugung und neuen Gerätetechnologien (z. B. Elektrofahrzeuge) führt zu einem tiefgreifenden Wandel der Stromnetze. Zudem zeichnen sich künftige Netze durch eine niedrigere und volatilere Kurzschlussleistung aus, wodurch es wahrscheinlicher wird, dass sich eine Beeinträchtigung der Strom- und Spannungsqualität erheblich stärker auf den effizienten und stabilen Betrieb auswirken wird als bisher. Viele Studien und Feldversuche beschränken sich jedoch nur auf die Effizienz und Stabilität bei der Netzfrequenz und betrachten den Einfluss der Netzrückwirkungen nicht oder nur unzureichend.
Fast alle Installationen für Erzeugung, Verbrauch oder Speicherung von elektrischer Energie verursachen Netzrückwirkungen. Geräte mit Leistungselektronik führen beispielsweise zu Oberschwingungen, ein- oder zweiphasig angeschlossene Geräte zu Asymmetrien. Dies reduziert die Strom- und Spannungsqualität und kann den Betrieb anderer Geräte und Anlagen stören. Deshalb ist es wichtig, die Netzverträglichkeit einer Anlage verlässlich zu quantifizieren, um den zuverlässigen und effizienten Netzbetrieb sicherzustellen und die Anforderungen bezüglich der elektromagnetischen Verträglichkeit einzuhalten.
Die Rückwirkung von Anlagen auf die Netzspannung wird heute vor ihrem Anschliessen ans Netz basierend auf Erfahrungswerten und Richtlinien berechnet. Ein messtechnischer Nachweis der Einhaltung der Grenzwerte erfolgt entweder gar nicht oder nur mittels Verfahren, die auf vereinfachenden Annahmen beruhen. Dies kann dazu führen, dass bei Betrieb einer Anlage unerwartete Störungen auftreten, die den Netzbetrieb beeinträchtigen. Andererseits werden bereits im Rahmen der Planung möglicherweise teure Abhilfemassnahmen (z. B. Filter) gefordert, die beim Betrieb der Anlage eigentlich nicht nötig gewesen wären.
Durch Anwendung neuer Methoden und Indizes wurde im iREF-Grid-Projekt ein Verfahren zur kontinuierlichen Überwachung des Beitrages einer einzelnen Anlage zur Spannungsverzerrung bestimmt. Durch umfassende und systematische Messungen in Zusammenarbeit mit neun Schweizer Netzbetreibern wurden verschiedene Methoden bewertet und die optimale Methode identifiziert. Dadurch können Wechselwirkungen (z. B. Kompensationseffekte) genauer bestimmt werden, um Anlagen mit unzulässig hohen Netzrückwirkungen sicher identifizieren zu können bzw. Investitionen in unnötige Abhilfemassnahmen zu vermeiden. Dies trägt nachhaltig zu einer effizienteren Nutzung der Netzinfrastruktur, der effektiveren Integration neuer Technologien und zu einem zuverlässigeren Betrieb zukünftiger Netze bei. Die Ergebnisse leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung von Richtlinien und Normen.
Projektziele und Fragen
Störaussendungsgrenzwerte für eine Anlage werden in der Planungsphase mit Methoden aus einschlägigen Richtlinien und Normen (z. B. D-A-CH-CZ-Richtlinien zur Beurteilung von Netzrückwirkungen) berechnet. Diese Methoden basieren auf Annahmen und Vereinfachungen, die meist zu eher konservativen Grenzwerten führen, welche die Aufnahmekapazität der Netze in Bezug auf Netzrückwirkungen nicht effizient ausnutzen und von den Kunden oft schwer und nur mit höheren Investitionen zu erfüllen sind. Die Emissionsgrenzwerte können als Spannungen oder Ströme ausgedrückt werden. Die Spannungsgrenzwerte sind oft so gering, dass sie nach der Inbetriebnahme der Anlage gar nicht oder nur schwer messtechnisch nachgewiesen werden können. Deshalb wird heute die Einhaltung vorgegebener Grenzwerte häufig mit einer Messung des entsprechenden Stromes am Verknüpfungspunkt (PCC) bewertet. Diese Messung wird in der Praxis oft überhaupt nicht durchgeführt oder nur für einen kurzen Zeitraum (z. B. mehrere Tage bis zu einer Woche) direkt nach der Inbetriebnahme der Anlage.
Aufgrund von Wechselwirkungen zwischen Netz und Anlage besteht der gemessene Strom aus zwei Komponenten: einer durch das Netz verursachten (Verantwortung des Netzbetreibers) und einer durch die Anlage verursachten (Verantwortung des Kunden) Komponente. Beabsichtigte oder zufällige Kompensationseffekte sowie eine niedrige Gleichzeitigkeit der Störaussendung mehrerer Anlagen können zu einem geringeren negativen oder sogar zu einem positiven Einfluss auf die entsprechende Spannungsqualitätskenngrösse führen, als es der gemessene Strom vermuten lässt. Eine zu konservative Bewertung des Beitrags durch eine Anlage kann zu einer ineffizienten Nutzung der vorhandenen Aufnahmekapazität oder zur unnötigen Installation von Abhilfemassnahmen führen. Besonders bei einer zufälligen Kompensation kann sich der Beitrag der Anlage im Laufe der Zeit aufgrund von Änderungen auf der Netzseite (z. B. Wechsel des Schaltzustandes oder Austausch eines Transformators) bzw. der Kundenseite (z. B. Austausch von Geräten oder Erweiterung der Anlage) signifikant verändern.
Ein Gerät zur kontinuierlichen messtechnischen Quantifizierung des Beitrags einer Anlage zur Spannungsqualität, das die beschriebenen Herausforderungen berücksichtigt, existierte bisher nicht, ist jedoch für eine sachgerechte Bestimmung der Netzrückwirkungen einer Anlage dringend notwendig. Dies bestätigen auch die anhaltenden Diskussionen in internationalen Arbeitsgruppen sowie zwischen Kunden und Netzbetreibern. Besonders wenn die gemessene Stromaussendung vorgegebene Grenzwerte überschreitet, gibt es keinen klaren Rahmen, wie der tatsächliche Beitrag zur Verminderung der Spannungsqualität für beide Seiten auf transparente Weise ermittelt werden kann.
Das Ziel des iREF-Grid-Projekts war die Entwicklung und Validierung einer Methode zur kontinuierlichen Bewertung des Beitrags einer Anlage zu Spannungsoberschwingungen und deren Proof-of-Concept-Implementierung in ein bestehendes Power-Quality-Instrument (Klasse A). Die Anwendbarkeit einiger vielversprechender Verfahren und Indizes wurde erprobt und u. a. hinsichtlich Einfachheit, Transparenz und Effektivität durch umfangreiche Feldtests mit mehreren Schweizer Netzbetreibern bewertet. Die Ergebnisse der Messungen wurden analysiert und mit den Netzbetreibern diskutiert, um die beste Methode zur genauen Bestimmung des Beitrags einer Anlage zur Verminderung der Spannungsqualität zu identifizieren. Dadurch wird eine effizientere Ausnutzung der Aufnahmekapazitäten künftiger Netze in Bezug auf Oberschwingungen und Asymmetrie erreicht, wobei auch eine zunehmende zeitliche Variabilität der Aufnahmekapazität berücksichtigt wird. Zudem wurden Richtlinien für die Bewertung des Beitrags einer Anlage zu Oberschwingungen im Netz entwickelt, die in die Überarbeitung der D-A-CH-CZ-Richtlinien zur Bewertung von Netzrückwirkungen eingeflossen sind.
Grundsätzlich kann das Messgerät nicht nur auf Anlagen mit mehreren Geräten, sondern auch auf einzelne Geräte wie Ladegeräte für Elektrofahrzeuge oder PV-Wechselrichter angewendet werden. Es kann in allen Netzebenen eingesetzt werden, wobei die Genauigkeit der verwendeten Strom- und Spannungswandler für die Messung von Harmonischen (frequenzabhängiges Übertragungsverhalten) sicherzustellen ist.
Messtechnischer Nachweis in der D-A-CH-CZ
Ein messtechnischer Nachweis der Einhaltung von Grenzwerten erfolgte bisher gar nicht oder nur mittels einfacher Verfahren, die auf einer Reihe vereinfachender Annahmen beruhen. In der aktuellen D-A-CH-CZ (3. Ausgabe 2021) wird in Kapitel 2.9. Messung auf dieses Thema Bezug genommen und auf Art und Umfang der Messung sowie auf das Messverfahren nach IEC 61000-4-30 eingegangen. Zum besseren Verständnis der Einordnung des messtechnischen Nachweises in der Anschlussbewertung dient Bild 1.
Bewertungsrahmen
Im Rahmen des iREF-Grid-Projekts wurde ein klarer und einfach anwendbarer Rahmen für die Bewertung der Oberschwingungsemission von Anlagen in Nieder- und Mittelspannungsnetzen in Bezug auf Oberschwingungsströme und -spannungen entwickelt und auf eine Reihe von Feldmessungen angewendet.
Das in Bild 2 gezeigte Bewertungsverfahren besteht aus den Stufen A und B. In Stufe A wird die Oberschwingungsstromemission für aggregierte 10-Minuten-Daten auf der Grundlage des 95-ten Perzentils und für aggregierte 3-s-Daten (sofern gemessen) auf der Grundlage des 99-ten Perzentils bewertet. Wenn der jeweilige Perzentilwert unter dem entsprechenden Grenzwert für die Oberschwingungsemission liegt, erfüllt die Anlage die Anforderungen für diese Oberschwingungsordnung. Liegt der jeweilige Perzentilwert um einen Faktor über dem aktuellen Grenzwert für Oberschwingungsemissionen (hier wurde der Faktor 2 gewählt), so erfüllt die Anlage in dieser Oberschwingungsordnung die Anforderungen nicht. In allen anderen Fällen muss die Oberschwingungsemission der Spannung in Stufe B bewertet werden. Es kann jedoch sinnvoll sein, die Bewertung der Oberschwingungsemission der Spannung auch dann durchzuführen, wenn die Anlage in Stufe A die Anforderungen erfüllt oder nicht erfüllt.
In Stufe B wird die Oberschwingungsemission der Spannung bewertet. Im Allgemeinen können zwei Bewertungsindizes angewandt werden. Der erste Index (Grössenindex) geht von einer Soll-Diversität (Auslöschung) aus und berücksichtigt keine Abweichung (höher oder niedriger) in der Diversität zwischen der Oberschwingungsemission der betreffenden Anlage und der Hintergrundverzerrung. Der zweite Index (Differenzindex) berücksichtigt die tatsächliche Diversität während der Messung. Der Netzbetreiber muss entscheiden, welcher der Indizes angewendet wird. Ähnlich wie in Stufe A werden die Perzentilwerte der Indizes für die Emission der Spannungsoberschwingung berechnet und mit dem entsprechenden Grenzwert verglichen, die Entscheidung über die Konformität der Anlage wird für jede Oberschwingungsordnung getroffen.
Feldmessungen
Nach der Evaluation der geeignetsten Methode unter Laborbedingungen wurde an 52 Messorten, wobei 34 NS, 17 MS, 1 HS und ein Mix aus Verbrauchern, Speichern, Prosumern und Erzeugern, die Methode auf Praxistauglichkeit überprüft. Dazu wurde die neu entwickelte Methode in ein durch die Metas zertifiziertes Klasse-A-Netzqualitätsanalysegerät (Bild 3) implementiert.
Die Messungen bei den Verteilnetzbetreibern wurden nach einem einheitlichen Prozess durchgeführt:
- Gemeinsame Festlegung der Messorte.
- Bereitstellung der Anlageparameter durch den Verteilnetzbetreiber.
- Messung der Netzimpedanz oder Verwendung einer Referenzimpedanz und Übernahme dieser Information in das PQ-Messgerät.
- Installation der Messgeräte durch die Fachkräfte der Netzbetreiber.
- Durchführen der Messkampagne, im Minimum 7/24.
- Generierung der Konformitätsberichte zu D-A-CH-CZ und EN 50160.
- Diskussion der Messresultate mit dem jeweiligen Netzbetreiber.
Ergebnisse und Nutzen für Netzbetreiber
Der Netzbetreiber kann nun auch ohne vertiefte Methodenkenntnisse zuverlässige Angaben zu den realen Emissionen machen und muss sich nicht mehr mit unvollständigen theoretischen Betrachtungen zufriedengeben.
Auch die Störungen, die im Neutralleiter auftreten, werden in der Analyse berücksichtigt. Dies ist besonders relevant für Kunden, die einige 100 m vom Transformator entfernt sind. Diesem Aspekt wurde in der D-A-CH-CZ Ed. 3 nicht genügend Beachtung geschenkt.
Der messtechnische Nachweis hilft bei der Genehmigung des Anschlussgesuchs einer Anlage. Bei Kundenreklamationen kann der Verursacher eindeutig identifiziert werden.
Es besteht ein Risiko, wenn die Emissionen des Kunden nicht gemessen werden oder nur die EN 50160 berücksichtigt wird. Wenn eine Anlage bereits einen grossen Teil der dem Netz zugewiesenen Emissionen in Anspruch nimmt, stehen nicht genügend Emissionsgutschriften für andere oder künftige Anlagen zur Verfügung.
Benutzerfreundlichkeit
In der Schweiz gibt es verschiedene Netzbetreiber, von kleinen Unternehmen, in denen Einzelpersonen viele Aufgaben erledigen, bis hin zu Netzbetreibern, die über Netzqualitätsspezialisten verfügen. Gerade kleinere Unternehmen sind nicht in der Lage, eine D-A-CH-CZ-Auswertung auf Basis von Rohdaten durchzuführen. Dank des neuen Verfahrens benötigt der Netzbetreiber nun keine vertieften Kenntnisse mehr, um die Analyse durchzuführen. Es ist auch nicht mehr nötig, alle Parameter zu kennen. Fehlende Parameter werden durch Standardwerte ersetzt, die der Netzbetreiber anpassen kann, um seine Situation bestmöglich abzubilden. Er startet dann eine Reihe von Messungen und kann am Ende auf Knopfdruck einen Analyse-Bericht erstellen. Der Vorteil gegenüber der Offline-Analyse ist, dass die Ergebnisse sofort zur Verfügung stehen, lange Downloadzeiten (für Rohdaten) vermieden werden und mehr Daten über längere Zeiträume aufgezeichnet werden können.
Zwei Berichte mit einem Gerät
Mit einem PQ-Gerät ist es nun möglich, sowohl einen EN-50160-Bericht als auch einen D-A-CH-CZ (Ed. 3) Oberschwingungskonformitätsbericht zu erstellen. Damit ist sichergestellt, dass auch bei Einhaltung der EN 50160 die nötigen Fehlerreserven für künftige Kunden des Netzbetreibers vorhanden sind. Die beiden Berichte bilden eine gute Grundlage für die vertiefte Auseinandersetzung mit ausgewählten PQ-Themen und sind ein formales Beweismittel bei Kundenbeschwerden.
Dieses PQ-Gerät hilft dem Netzbetreiber, den messtechnischen Nachweis zu erbringen, um die Einhaltung der Grenzwerte von seinen Kunden verlangen zu können. Es kann immer dann eingesetzt werden, wenn die Grenzwerte einer Anlage überprüft werden müssen: bei der Abnahme neuer Anlagen, bei Messkampagnen oder bei der Suche nach den Ursachen von EMV-Problemen.
Max Ulrich
Geschäftsführer Camille Bauer Metrawatt AG